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Ales Pickar
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Maverick-Autor, Ambient-Musiker und Phantast

Selbstdarstellungen und autobiographische Aufstellungen haben mir noch nie behagt. Zu oft wurden sie in einem Zusammenhang abgefragt, der mir sichtlich missfiel. Dies ist somit ein Versuch, es mal anders zu machen. Ohne falsche Erwartungen. Das eine Mal. Und nie wieder. Du solltest es also ernst damit meinen, diesen Text zu lesen. Denn ich kann für nichts garantieren.

Ich kam 1971 im tschechoslowakischen Dečín zur Welt, in einer Kultur, die geprägt war von Alkohol, Plattenbauten und marxistisch-leninistischen Bannern, die müde zwischen den Häuserfassaden hingen. Diese Zeit ging als die "Normalisation" (tschechisch "normalizace") in die Geschichte des Landes ein. Ein dumpfer, verkaterter Zustand nach den Ereignissen des Prager Frühlings, der bis in die späten 80er Jahre anhielt.

So mag es nicht verwundern, dass mich in den frühen Jahren alles Phantastische interessierte und faszinierte. Die Kritiker des Genres betonen gerne den "eskapistischen" Charakter der Science-Fiction und Fantasy. Doch ist nicht alles eskapistisch, das dir und mir inmitten unserer Mühen einen Ausblick auf eine andere Welt bietet? Ist denn Religion anders? Ist Sport anders? Ist ein gutes Glas Wein anders? Ein üppiges Mahl? Ein festliches Kostüm?

Wie alle anständigen Jungs einer Ära, die noch nicht von Social Media korrumpiert war, fingen meine Abenteuer mit der Lektüre von Jules Verne und H.G. Wells an. Ein Vorteil dieser Jahre bestand auf eine seltsame Weise in der Abwesenheit von Fülle. Star Trek und Star Wars waren mir gänzlich unbekannt. Und Tarzan und Batman waren Gestalten, von den ich höchstens aus zweiter Hand gehört hatte. Meine Helden entstammten den SciFi-Büchern von Ludvík Souček und von Boris & Arkadi Strugatzki. Und dann war da noch Ludmila Vaňková. Ludmila!!! Sie schrieb in meinem Geburtsjahr einen Roman mit dem Titel "Mosty přes propast času". Lass dir mal von mir erzählen, worum es darin geht. Es wird dich umhauen.

Ich wuchs in Prag auf und kam 1989 nach München. An meine Schulzeit habe ich gemischte Erinnerungen. Als jemand, der das gesamte Leben unfähig war, jegliche Form von Autorität zu akzeptieren, hatte ich nur wenig Gefallen an dieser Art von Alltag. Man könnte argumentieren, dass in diesem Alter niemand gerne zur Schule geht. Doch sagen wir einfach, dass ich ab einem Punkt nicht weit davon entfernt war, mir einen Kanister mit Benzin zu besorgen. Gerettet vom eigenen Erwachsenwerden rannte ich einfach davon. Manchmal erscheint es mir, als renne ich noch immer.

(Dieser Sachverhalt sollte nicht ausschließlich negativ gewertet werden. Denn es ist zweifelsohne der Grund, weshalb ich in meinem gesamten Leben nicht für einen Atemzug verführt war, mich einer Sekte anzuschließen.)

Im Jahr 1993 startete ich die Band "The Thieves Of Impressions" (die später in "Concrescence" umbenannt wurde) und gründete mit dem Underground-Künstler SALT das Musiklabel Ant-Zen, das ich 1995 verließ, um nach Indien zu gehen. Gemessen an der außerordentlichen Langlebigkeit von Ant-Zen, fragt man mich manchmal, ob das nicht eine sichtlich schlechte Entscheidung war. Ich denke nicht. Neben SALTs Talent und seinem außerordentlichen Empfinden für bestimmte Formen der Ästhetik hätte ich stets nur wie der schwachsinnige Bruder aussehen können, der aus sentimentalen Gründen mitgeschleift wird. Ich musste meine eigene Welt finden, die das perfekte Reservoir für meine eigenen Fähigkeiten werden sollte.

In den 90ern und noch eine ganze Weile die "Nullerjahre" hindurch, schlug ich mich mit Gelegenheitsjobs und seltsamen Karriereansätzen durch. Einer davon war beispielsweise ein Jahr als Postzusteller. Mit einem eigenen (gelben) Fahrrad und einer eckigen Postler-Umhängetasche. Ich hatte eine gesunde, natürliche Beziehung zu dieser Arbeit, beseelt von der Vorstellung, anderen Menschen Nachrichten zu bringen. Neuigkeiten von Familienmitgliedern zu übermitteln. Doch der Alltag zeigte bald ein anderes Gesicht. Meine Posttasche bestand aus 99% aus widerwärtiger Werbung (überwiegend "Lotto"), wegen der mich die Anwohner oft hasserfüllt ansahen. Ein altes Großmütterchen schickte sich selbst Einschreiben, damit zumindest der Postbote klingelte und es für einige Sekunden aus der Einsamkeit erlöste. Ich begann zu ahnen, wie die Welt wirklich gestrickt ist. Wie sehr wir eine grässliche Lüge leben und diese Lüge auch dringend benötigten, da der Schmerz der Erkenntnis die Gefahr birgt, dass die Pein unerträglich ist. Also schieben wir uns gegenseitig Werbung zu und tun so, als wäre es in Ordnung. Das ist, wie wir überleben. Homo hypocriticus.

Viele dieser Eindrücke flossen später in die verschrobene Weltsicht von Jan-Marek in "In den Spiegeln."

Die Generation meines Vaters unterhielt sich gerne mit der Frage, wo man denn an dem Tag war, als John F. Kennedy erschossen wurde. Meine Generation hat einen ähnlichen Meilenstein: den 11. September 2001. Ich saß an diesem Tag in einer IT-Firma, im Herzen Münchens. Wie so viele andere Menschen hatte ich schon damals das unbeschreibliche Gefühl, als würden die Dinge von da an nie wieder dieselben sein. Der "9-11" hat tatsächlich auch eine Veränderung in meinen Lebenskurs gebracht. Die Firma, in der ich damals saß, steckte in massiven Schwierigkeiten. Es war ein Schiff, das kenterte und es gab nur eine Rettungsleine. Ein äußerst prominenter deutscher Software-Hersteller bot sich an, alles aufzukaufen. Sie hatten in Wirklichkeit nur Interesse an den Hardcore-Programmierern und nahmen die Abfindung des überflüssigen Gesocks unwillig in Kauf. Die Verträge waren zwar noch nicht unterschrieben, doch sie kamen bereits durch das Fax. Es war der 10. September 2001. Am Tag darauf war alles vorbei.

Das Wort "Katastrophe" entstammt dem altgriechischen Ausdruck "καταστροφή". Es bedeutet "Wendepunkt", oder "Augenblick der Umkehr". Ich ergriff also mein Schicksal und verabschiedete mich aus der Welt der Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Ich hatte genug von selbsternannten Visionären, die sich unentwegt auf eine Obstkiste stellten. Von all den "Bossen" und obskuren Machenschaften, die da auch noch "Produkte" genannt werden.

In den darauffolgenden Jahren verdingte ich mich unter anderem als Kameramann und Cutter in Pornoproduktionen. Dazu werde ich hier nicht viel ausführen. Doch sollten wir uns auf einer Convention oder Buchmesse begegnen, lade mich auf einen Spezi ein und ich erzähle darüber. Irgendwo schlummert da vielleicht ein kleiner Roman in der Erfahrung dieser kurzen Jahre.

Zwischen 2002 und 2005 unterstützte ich Frauenrechtsgruppen in ihrem Kampf gegen Frauenhandel und Zwangsprostitution. Dieses Thema hatte mich lange Zeit beschäftigt - nicht zuletzt weil meine eigene Heimat (Tschechien) hierbei, wie viele andere slawische Länder, eine unrühmliche Rolle spielte. Ich brauchte nicht die Lektüre von Ernst Borneman, um eines Tages zu einer seltsamen Erkenntnis zu gelangen: Die größte Abscheulichkeit, die in der Geschichte der Menschheit stattgefunden hatte, war nicht die Vernichtung der amerikanischen Ureinwohner, der Holocaust oder all die ethnischen Säuberungen, die wir kennen. Die kommen an zweiter, dritter und n-ter Stelle. Es war der vollständig ungesühnte, fünf Jahrtausende dauernde Hassfeldzug des Mannes gegen die Frau. Einige halten diese Position für überspannt. Doch ich fordere jeden heraus, sich zu diesem Thema mit mir anzulegen. Wir werden über Asmā bint Marwān sprechen, und über Hypatia von Alexandria. Und über alltägliche Steinigungen und Verbrennungen. Und über den Monetarismus, als die zentrale Ursache für Gewalt - dort, wo die meiste Gewalt stattfindet: in der Familie. Ich werde dich in den Boden argumentieren und ich werde nicht aufhören, nur weil du auf der Erde liegst.

In diesen Jahren bereiste ich Indonesien, den Kosovo, Mazedonien, sowie Bulgarien und schrieb mit an der international geachteten ECPAT-Studie: "Trafficking in Children for Sexual Purposes".

Ich habe schon immer geschrieben. Mit acht fing ich den ersten Roman an, der immerhin 30 Seiten lang wurde und (zum Glück) der Nachwelt nicht erhalten blieb. Für die Jüngeren mag dieses Detail interessant sein: Es war eine Zeit vor den Computern und der Text war mit Schreibmaschine erstellt. Vertippte man sich, musste das falsche Wort mehrfach "rausgeixt" werden. Die Story handelte von einem Wildhüter in der Serengeti, der sich mit einer Schar Söldner umgibt und den Jägern einen tödlichen Krieg ansagt. Infantil, doch durchaus visionär die Thematik des Öko-Terrorismus vorwegnehmend. Ich entsinne mich, dass ich damals die Seiten mit Hilfe von Heftklammern zusammenheftete und sie mit einer gezeichneten Titelseite versah (Motiv: Giraffen, Elefanten, ein Jeep, Männer in Khaki, Kalaschnikows). Ich hatte schon immer eine seltsame Schwäche für Groschenromane. Ich habe selten welche gelesen, doch das Format hat mich stets fasziniert.

Doch dies sind nicht die scheinbescheidenen Bekenntnisse eines Wonderboys. Es sollte 25 Jahre dauern, bis ich etwas Lesbares schreiben würde und 35 Jahren dauern, bis ich Belletristik publizierte. Wenn ich den Weg, der hinter mir liegt, betrachte - so sehe ich doch weniger eine natur- oder gottgegebene Straße, die zu beschreiten mir offen stand, sondern viel mehr einen mühsamen Tunnel, zu dessen Ausgrabung ich einen Teelöffel aus Aluminium besaß. Ich bin sehr davon überzeugt, dass für einen Autor die erste halbe Million Worte für die Mülltonne bestimmt ist. Ray Bradbury sagte: Alle Künste, die kleinen wie die großen, sind die Beseitigung von überflüssiger Bewegung zugunsten der präzisen Aussage. Daran arbeite ich immer noch.

Ich war stets von großen Formaten und der Erschaffung ganzer Welten fasziniert. Kurzgeschichten reizten mich nie. Didaktisch stellte das ein Problem dar, da diese klassische Treppenstufe des literarischen Wachstums (die gerade in SciFi und Fantasy relevante "Shortstory") von mir zumeist ignoriert wurde. Das schuf strukturelle Schwierigkeiten. Aber da gilt es einfach nur die Zähne zusammenzubeißen und zu überarbeiten, bis man vom eigenen Stoff tief angewidert ist. Ohnehin sah ich mich nie als einen subtilen Sprach-Stuckateur, sondern gleiche mehr einem textlichen Betonmischer. Doch wer eine mächtige Leinwand schätzt, der wird unter Umständen nicht enttäuscht sein.

Ich fing 1998 an, "In den Spiegeln" zu schreiben. Damals hatte ich keine echten Absichten Schriftsteller zu werden. Es entsprang mehr der Frustration darüber, dass meine sonstigen kreativen Ausflüge (Film, Musik...) stets Teamwork (aka "andere Menschen") voraussetzten und ich schnell das Gefühl hatte, alles immer nur allein zu stemmen. Ich hatte keine Ahnung, was und warum ich da tat und wohin es führen sollte. Doch gibt es einen größeren Anreiz für Kunst, als das heute so seltene Gefühl der Terra incognita? Hic sunt dracones!

Der beim Vedra-Verlag erschienene Sammelband der ersten drei "Spiegel-Romane" ("Die dunkle Stadt") wurde für den Deutschen Phantastikpreis 2011 nominiert.

2012 gründete ich mit Brandon Gonsalves das Ambient-Projekt "Tidal Flow". Falls du gerne kostenlos Musik downloadest, dann suche nach uns. Aber erwarte keinen Refrain und keine Hookline. Ambient ist eine eigene Welt, in der die Uhren eindeutig anders gehen.

Ich lebe gegenwärtig in Mittelfranken. Mein Kopf ist die meiste Zeit jedoch in Neroê. Diese Art quantenmechanischer Superposition wird zwar in der physikalischen Welt durch die Dekohärenz verhindert, doch für einen Fantasy-Autor ist es kein Problem, an zwei Orten gleichzeitig zu sein.

Nun wisst ihr alles, das es zu wissen gilt. Alles andere würde euch nur anwidern und in den Wahnsinn treiben.

(Abgeänderte Teile des Textes entstammen einem Posting im fantasybuch.de. Ich hatte nicht vor, das Rad neu zu erfinden. Schon gar nicht bei einer Selbstdarstellung.)

Am Ende bleibt nur noch die übliche sozialmediale Schäbigkeit. Folge mir. Auf! Los! Verzichte auf deine Individualität und lasse dich schleifen im Kielwasser eines rücksichtslosen Künstlers. Es ist ganz einfach. Schon in wenigen Augenblicken kannst du dabei sein!